Corona als Psychokatalysator?

Corona als Psychokatalysator

Was passiert in Familien (oder auch bei Paaren), wenn sie durch die Ausgangsbeschränkungen sehr viel mehr Zeit zusammen in der Wohnung verbringen und es kaum noch Möglichkeiten zum Ausweichen mehr gibt?

Wir kennen das aus Urlauben und von Feiertagen, wenn der normale Trott und die geliebten Routinen wegfallen. Der Freiraum ist auf ein Minimum reduziert, jeder einzelne muss sich vielmehr mit den Launen der anderen auseinandersetzen, bzw. ist ihnen ausgesetzt, Beziehungen werden zur Geduldsprobe.

Konflikte entstehen meist durch Missverständnisse.

Z.B. eine Person ist im Homeoffice und versucht sich zu konzentrieren,  wird dabei aber immer wieder von anderen (i.d.R. natürlich nicht absichtlich) gestört, irgendwann gibt es einen Punkt, an dem die sozialen Kompetenzen aufgebraucht sind. Dies bemerken die anderen nicht immer und fragen etwas oder machen irgendwie anders Kontakt, weil sie „zu Hause sein“ mit „Zeit ansprechbar zu sein“ verbinden.

Meist reicht dann eine neutrale oder gereizte Antwort und der andere fühlt sich missverstanden – oder schlecht behandelt, ohne etwas gemacht zu haben! Irgendwann platzt dem einen oder anderen dann der Kragen und es kommt zu Vorwürfen, man fängt an zu streiten…

Wir müssen jetzt auch sehr viel mehr als sonst darauf achten, wie wir miteinander umgehen. In diesen verkleinerten sozialen Räumen, in denen wir uns jetzt bewegen müssen, fallen unbedachte Worte mehr ins Gewicht. Sprüche und Witze auf Kosten anderer, wahrgenommene Grenzüberschreitungen können leicht größer wahrgenommen werden und provozieren. Auch Unordnung, wie nicht weggeräumte Dinge werden schnell störender interpretiert als es sonst der Fall wäre. Daraus folgt ganz konkret, dass wir z.B. die gemeinschaftlich genutzten Räume ordentlich hinterlassen sollten, leere Toilettenpapierrollen auswechseln, noch achtsamer und netter miteinander sprechen, Geringschätzigkeit vermeiden, niemanden veräppeln. Gerade in Ausnahmesituationen werden solche Selbstverständlichkeiten gerne vergessen und gerade jetzt haben sie aber auch mehr Gewicht.

Für viele beginnt nun bald wieder eine neue Woche im Homeoffice. Was können wir also tun? Wichtig ist, dass wir gemeinsam mit unseren Lieben neue Strukturen entwickeln. Bewährt hat sich hierbei, den Tag in kleine (und vor allem auch kindgerechte) Einheiten zu gliedern. Also unbedingt als erstes Zeiten und Räume für Arbeit und Freizeit klar trennen, hierbei ist es wichtig nur realistische Vorhaben zu planen – denn nichts frustriert Gruppen mehr, als unrealistische Ziele. Unbedingt sollte auch jeder Zeiten und Möglichkeiten haben, sich irgendwie zurückzuziehen und die anderen achten diese wichtigen eigenen Wünsche nach Alleinsein! Falls möglich, viel Zeit für Spaziergänge, Natur und Spiele einplanen. Diese neue Situation erzeugt häufig auch jede Menge Chaos, welches es zu akzeptieren gilt. Wer den Anspruch hat, alles gleich perfekt und auch gewohnt zu ordnen, fällt damit meist auf die Nase, wird gereizter und steckt damit aller Wahrscheinlichkeit nach die anderen an. Der Schlüssel dabei ist für viele Humor. Außerdem gilt es konstruktiven Aspekte der Krise stärker ins Licht zu rücken.

Diese Krise hat nämlich auch gute Seiten, es ist doch großartig, dass wir derzeit so viel Zeit mit unseren Lieben verbringen können. Unter der Woche zusammen ins Grüne zu fahren oder zusammen etwas zu spielen. Jeder von uns hat liegengebliebene Dinge wie das Buch, dass schon ewig neben unserem Bett liegt und darauf wartet gelesen zu werden, Reparaturarbeiten endlich erledigen, Fotos sortieren, den Computer entrümpeln oder auch kleinere Verschönerungen an der Wohnung zu machen. Außerdem können wir lernen, auf unsere inneren und äußeren Grenzen zu achten – also frühzeitig mit unseren Partnern Auszeiten zu verabreden. Wir lernen jetzt zusammen – mit weniger Ablenkung und weniger Freiräumen – miteinander und mit uns selbst klarzukommen.

Falls all die guten Tipps und Ratschläge nicht helfen, ist es spätestens dann sinnvoll, sich unterstützen zu lassen 

Wir arbeiten zur Zeit schwerpunktmäßig in Videositzungen. Aber wie wird dort gearbeitet?

Eine Möglichkeit wäre eine Psychodrama-Arbeit mit dem Partner: Das geht tatsächlich sehr gut online und natürlich geht es häufig in erster Linie um Deeskalation! Also Trigger (Auslöser) finden und alternative (Kommunikations–)Strategien erarbeiten.

Aber natürlich können auch andere Dinge hochkommen, z.B. Einsamkeit, bei all denjenigen, die gerade alleine leben und durch die Einschränkungen Freunde und Angehörige nur online sehen können. Hier macht es jetzt Sinn tiefer in die Gefühle einzutauchen und z.B. die Persönlichkeitsanteile herauszuarbeiten, unter denen wir gerade leiden. Der nächste Schritt wäre es z.B. dann direkt mit den Anteilen zu kommunizieren und herauszufinden, was hilfreich wäre. Meist tritt schon nach 1-2 Sitzungen eine Erleichterung ein. Andere wiederum nutzen die Zeit, um gezielt mehrere Sitzungen in kürzeren Abständen zu nehmen und an den Thematiken zu arbeiten, die Corona durch die Einschränkungen und Ängste in uns hochkocht.

Wenn wir unsere gewohnte Welt verlieren, finden wir uns selbst!

(Karim Hashim, Psychodrama Institut Hamburg)

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