Welche Auswirkungen hat das Innere Kind auf Paarbeziehungen?
Paarbeziehungen haben meist einen typischen Verlauf: zuerst die „romantische und/oder auch sehr leidenschaftliche Liebe“, als Nächstes dann kommt die Phase der Neu-Entscheidung. Die Flitterwochen sind vorbei, in der Regel beginnt einer von beiden sich daran zu erinnern, dass es noch ein anderes Leben gibt. Was ist eigentlich aus meinen Freunden geworden, was aus meinen Hobbys und meinen Interessen? In dieser kritischen Phase einer Beziehung denkt der eine oder andere über eine mögliche Trennung nach. Die Person in der Beziehung, die nicht aus der Verschmelzung will, kommt dadurch immer mehr an die Gefühle des verletzten Inneren Kindes heran. Die andere Person, die wieder mehr Autonomie wünscht, fühlt sich eingeengt und empfindet den Partner nicht mehr als ganz so attraktiv.
Die erste große Zerreißprobe für das Paar.
Wie konnte es soweit kommen? Welche inneren Dynamiken, Triebe und Persönlichkeitsanteile lassen die meisten Paare häufig etwas vergleichbares durchleben? Wie genau funktionieren also nun Paarbeziehungen?
Eine Erklärungsmöglichkeit schauen wir uns anhand des Beispiels vom „Inneren Kind“ an.
Das Konstrukt vom Inneren Kind wird so benannt, weil es unsere frühen und kindlichen Erfahrungen wieder spiegelt.
Das Innere Kind steht also für unsere tieferen und auch dramatischeren Empfindungen, unsere sogenannten „Bauchgefühle“ und wurden in unserer Vergangenheit in uns angelegt.
Dieses Innere Kind beeinflusst uns ständig und deutlich wird es überall dort, wo es um das Thema Versorgung im weitesten Sinne geht. Das bedeutet bei Themen wie Einkaufen, in der Liebe und dem Gefühl von den anderen Menschen angenommen zu sein oder auch abgelehnt zu werden. Die Werbung hat dies früh erkannt und so wollen wir attraktiver sein, uns deshalb auch besonders gut kleiden, tolle Autos fahren und vieles mehr. Natürlich letztendlich deshalb, um Anerkennung und somit Liebe von unserer Umwelt zu erfahren.
In der Regel beeinflusst es meist unbewusst weitreichend unser alltägliches Leben und unsere Gefühle.
Ob es uns bewusst ist oder nicht, jeder Mensch hat als Kind seelische Verletzungen abbekommen, mit denen man irgendwie umgehen lernen musste. Entwicklungstraumata entstehen häufig schleichend, unauffällig und langsam.
Gebranntes Kind scheut das Feuer sagt ein altes Sprichwort. Schon Jakob Ayrer (1544-16050) dichtete „verbrents kind fürcht dess feuers glut“. Bedeutung: unser Inneres Kind mit seiner tiefen Erfahrung an Schmerzen, Verwundungen und auch Verlassenheitsängsten und Sehnsüchten wird verdrängt und abgespalten.Nach dem überlebensnotwendigen Motto „was ich nicht fühle, das tut mir auch nicht weh“werden Verletzungen verdrängt. Kleine Kinder können größere Verletzungen einfach noch nicht verarbeiten und so ist Verdrängung die einzige Möglichkeit mit verletzenden Situationen umzugehen. Dabei haben viele Menschen durch ihre Lebenserfahrung und den erweiterten Möglichkeiten eines Erwachsenen durchaus die Fähigkeit, sich diesen alten abgespaltenen Gefühlen zu stellen und diese auch zu verarbeiten.
Da unsere Verletzungen auf der Beziehungsebene entstanden sind, kann auf dieser Ebene auch unvorstellbares auf einer meist zeitlich begrenzten Ebene passieren. Beim Verlieben nämlich werden die Inneren Kinder teilweise plötzlich aus den inneren verdrängten Bereichen unserer Persönlichkeit befreit. Nun nicht mehr eingesperrt kann folgendes passieren: läuft es gut, erfahren die beiden Inneren Kinder, mein gegenüber liebt mich wirklich und nimmt mich genauso an wie ich gerade bin. Wir fühlen uns wieder leicht und beschwingt und es reicht uns in dieser Beziehungsepisode häufig tatsächlich Luft und Liebe.
Unser neuer Partner ergänzt etwas in uns und so bekommen wir das Gefühl uns wieder ganzheitlich zu empfinden!
Unser Körper schüttet dabei erst mal eine ganze Menge Hormone aus. Verliebte sind nunmal verschiedenen Hormonen ausgesetzt, die pausenlos die Sinne vernebeln. Pheromone können uns unbewusst zum passenden Partner leiten. Unsere Stresshormone sind für die wundervollen physischen Symptome der Verliebtheit verantwortlich und zusätzlich stürzen uns die Glückshormone in ein wahres Gefühlschaos. Ein Hormon namens Oxytocin ist dafür mit verantwortlich, dass eine möglichst enge Bindung entsteht, sodass wir uns gar nicht mehr vorstellen können ohne diesen Partner zu sein.
Es kommen lange unterdrückte Gefühle unserer Kindheit wieder zum Vorschein, z.B. Glücksgefühle, Leichtigkeit und Spontaneität! Unsere Inneren Kinder fühlen sich wieder angenommen und wir durchleben eine Zeit, die uns auch ein Geschmack davon geben kann, wie wir uns zum Teil fühlen können, wenn wir diese unterdrückten Gefühle wieder integriert haben..
Verliebtsein wird von den meisten Menschen als ein überströmendes und ganzheitliches Gefühl erlebt, weil wir tatsächlich wieder mit uns selbst verbunden sind. Unsere inneren kindlichen Anteile sind überglücklich und dafür verantwortlich, dass wir uns von dem geliebten Menschen wirklich angenommen fühlen (sowie das eigentlich einmal unsere Eltern hätten machen sollen) und uns mit der ganzen Welt (wie ein jedes Kind es braucht um glücklich zu werden, dabei ist die Welt des Kindes natürlich kleiner und von der Herkunftsfamilie dominiert) glücklich und verbunden fühlen.
Verdrängen bindet und staut Kraft und das wiederum kostet zusätzliche Energie, dieses gegen seine „inneren Impulse“ anzukämpfen verursacht einen fast schon kriegsähnlichen Zustand mit sich selbst. Dieser innere Konflikt läuft in der Regel größtenteils unbewusst ab, da wir ihn ansonsten nicht hätten aushalten können. Tatsächlich ist es so, dass wir häufig nur die inneren Tore offen oder geschlossen halten können, das bedeutet aber auch, das andererseits wahre und tiefe Gefühle von Glück meist ebenso verschlossen sind wie die unangenehmen.
Die Konsequenzen für die betroffenen Menschen sind mannigfaltig. Sie fühlen sich mit Teilen ihres Lebens unzufrieden, sind mit sich selbst überfordert und lenken sich gerne ab, heutzutage auch gerne mit Smartphones, Tablets, Computern, aber auch Alkohol, Drogen, Macht, Geld, shoppen und ungesunde Beziehungen.
Zur Partnerschaft gehören Enttäuschungen einfach dazu
Mit diesen Schwierigkeiten müssen wir natürlich irgendwie zurecht kommen und machen das häufig so, wie wir es auch in unserer Herkunftsfamilie mussten. Wir versuchen meist erst einmal Schwierigkeiten zu verbergen oder gehen alternativ zum Angriff über. Wir fühlen uns vielleicht noch im inneren sogar tief verletzt, nach außen zeigen wir davon aber nur noch stille Vorwürfe, werden unangemessen wütend oder agieren die Gefühle z.B. mit intensiven Sportprogrammen aus. Dadurch verlieren neue Beziehungen schnell an Glanz, denn unsere eben noch aufgeblühten Inneren Kinder werden wiederum verdrängt. Durch das „nicht-fühlen-wollen“ der alten Wunden und Schmerzen verschließen wir uns wieder, mit dem Resultat, dass Gefühle von Schwere, „sich-abgetrennt-fühlen“ und depressive Verstimmungen entstehen können. Wir erleben meist emotional ähnliche Enttäuschungen, wie wir sie in der Kindheit mit unserer Herkunftsfamilie erleben mussten. So entsteht dann in Beziehungen eine intensive Mischung aus neuen und alten Gefühlen. Wobei man tatsächlich davon ausgehen kann, dass der Anteil an alten Gefühlen der weitaus größere ist – auch wenn es gegenteilig wahrgenommen wird. Schaffen wir es, diese Gefühle zu verdrängen, können wir den Partner dementsprechend eben auch nicht mehr an uns heranlassen. Ansonsten würde durch die Nähe das verdrängen der Gefühle nicht mehr funktionieren.
Packen wir diese Gefühle nicht weg, sondern gehören zu den Menschen, die sie an dem Partner ausagieren, nehmen die Konflikte manchmal kriegsähnliche Zustände an. So entstehen zwangsläufig Verletzungen.
So oder so ist die erste verschmelzende Phase vorbei.
Unsere eben noch verschmolzenen Inneren Kinder beginnen, sich voneinander verletzt zu fühlen und lehnen den Partner immer mehr ab.
Jeder der Kinder hat, weiß, wie schnell das passieren kann. Die Folge sind innere oder äußere Vorwürfe.
Wir re-inszenieren unsere Kindheitserfahrungen, nur das wir dieses Mal Erwachsene sind.
Durch unser Unterbewusstsein gesteuert wiederholen wir die ungelösten Muster und Schwierigkeiten unserer Kindheit solange, bis sie aufgelöst sind.
Dazu sucht sich unser Unterbewusstsein die passenden Partner und Freunde, die zu unserem Muster passen, so ziehen wir also immer wieder ähnliche Partner und Freunde an und schaffen uns sogar Umstände durch Krankheiten etc. und haben so immer wieder die Möglichkeit, unsere Muster aufzulösen oder endlos zu wiederholen…
Manchmal bekommt ein Partner die Rolle eines Elternteils oder erhält die Rolle meines Inneren Kindes. Es gibt da verschiedenste Möglichkeiten, wie z.B. ich übernehme die Rolle eines meiner Elternteile und mein Partner die andere usw.. Unser Unterbewusstsein ist da einfach sehr erfinderisch.
Logischerweise läuft bei unserem Mitakteur ein ähnliches Programm und mit entsprechenden Bewusstseinsstand wird ihm seine eigene Rolle auch bekannt sein, denn die Inszenierung ist auch ein Wiederholen von dessen eigener Kindheit! So inszenieren beiden wieder jeweils ihre alten Geschichten, es wiederholen sich also zwei Biografien parallel. Das passiert dadurch, weil sich Menschen letztendlich in ihre eigene Geschichte und somit in sich selbst verlieben, der andere spiegelt uns dabei nur!
Kommunikation, Lösungen und Abkommen
In dieser schwierigen und kriseligen Phase kommen die meisten Paare in diePaarberatung. Mögliche Themen wie Resignation, starke Auseinandersetzungen, Schweigen – verbunden mit der Hoffnung nach den Flitterwochen – der Einheitsgefühle der ersten gemeinsamen Zeit, wollen angeschaut und gelöst werden.
Wie können wir denn nun diesen Schlamassel verändern?
Erst einmal geht es darum, herauszufinden, wie wir für unsere Inneren Kinder gute Eltern sein können. Als zweiten Schritt dann, wie können die guten Eltern/Erwachsenen die Bedürfnisse der Inneren Kinder in die Erwachsenenwelt übersetzen, also dolmetschen. Dabei gilt es dann, dass die guten Eltern/Erwachsenen genau unterscheiden, welche Wünsche angemessen sind und welche Wünsche aus den alten Verletzungen gespeist werden.
In meinen Sitzungen geht es um verschiedene Ebenen von Lösungsmöglichkeiten. Die einfachste Ebene ist die, auf der einfache Lösungen gefunden werden können, damit eine schnelle Entlastung einsetzen kann und die Beziehungspartner erst einmal wieder aufatmen können. Beispiel: geht es z.B. um das Thema Ordnung in dem gemeinsamen Haushalt, könnte evtl. eine Putzhilfe deeskalierend wirken, ohne das das Paar erst einmal irgend etwas in Ihrem Verhalten ändern müssen. Auf der nächsten Ebene versuche ich ein realistisches Abkommen zustande zu bekommen. Das bedeutet, dass die beiden Partner sich gegenseitig einen Wunsch (Verhaltensänderung) erfüllen, der möglichst leicht umzusetzen ist und auf der anderen Seite einen möglichst großen positiven Effekt auf die Beziehung hat. In der dritten Ebene geht es dann darum, die Handlungen des Partners wirklich deuten und verstehen zu lernen – häufig werden die gegenseitigen Liebesbeweise wenig gewertschätzt, da das eigene Wertesystem einfach anders funktioniert. Dadurch lernen die Partner dem anderen Liebesbeweise zu schenken, die den anderen auch erfreuen, da diese als solche erkannt und geschätzt werden – hierbei geht es dann auch sehr um eigene Werte und die Herkunftsfamilie. Andererseits wird Zuneigung durch den Partner auch besser erkannt, wenn man weiß, dass dies die größte Wertschätzung ist, die der Partner aus seiner Perspektive aus machen kann. In der vierten Ebene geht es dann darum, sich über Verletzungen auseinanderzusetzen und diese zusammen zu bereinigen. Meist braucht es erst einmal einige der anderen Ebenen, um wieder eine Bereitschaft dafür herzustellen. Manchmal setze ich auch gleich bei der vierten Ebene an… Eine zusätzliche Ebene besteht darin, nötige realistische Veränderungen herbeizuführen, die anspruchsvoller sind als bei der zweiten Ebene, aber absolut notwendig!
Dies wird unterstützt mit Hausaufgaben für die Paare, denn wenn die Erkenntnisse mit in den Alltag gebracht werden, sind die Erfolgsaussichten am größten. Außerdem geht es in den Sitzungen auch darum, Konflikte wieder zu entwirren, damit das Chaos aufhört und der Blick wieder für das Wesentliche frei wird.
Wenn die Erwachsenen eine echte Klärung hinbekommen, geht es den Inneren Kindern ebenfalls wieder besser
Klärung bedeutet, zu unterscheiden, ob es wirklich um das geht, worüber gerade gesprochen wird oder ob es noch ein Thema dahinter gibt. Ansonsten besteht die Problematik weiter und speist nicht nur den aktuellen Konflikt, sondern es entstehen häufig auch noch weitere kleinere Folgekonflikte die sich oben drauflegen. Das kann soweit gehen, dass manche Paare garnicht mehr wissen worum es eigentlich geht und stellvertretende Themen behandeln, die keine dauerhafte Lösung bieten.
Wenn im Laufe der Paarberatung gelernt wird: wir können die tatsächlichen Konflikte und Themen lösen, dann erleben viele Paare Gefühle wie Verbundenheit, lustvolle Sexualität und Verschmolzensein, die denen aus der Verliebtheitsphase ähneln.
Paarbeziehungen bringen uns so gut wie immer an die eigenen familiären Altlasten unserer Herkunft. Die damit verbundenen Gefühle strahlen in die Konflikte, vertiefen diese und/oder provozieren sie erst. Lösen wir die Konflikte in der Paarbeziehung, hat das auch Effekte auf unsere eigene Geschichte und wir erfahren dort auch auf einer biografischen Ebene heilende Impulse.
Unsere Beziehung funktioniert wieder besser und unser Alltag wird zufriedener empfunden.
Zu über 90 % werden wir von unserem Unterbewusstsein gelenkt, die restlichen 10% ist somit der so genannte freie Wille!
Ist dann unser „Verliebtsein“ nur eine überflüssige Illusion? – Keineswegs
Erst einmal brauchen wir andere Menschen, wir sind biologisch einfach Herdentiere. Zudem helfen uns unsere Partner und die anderen Akteure dabei, unsere Verstrickungen zu lösen. Ebenso wichtig ist, dass neben dem Reinszenieren natürlich auch unabhängige Nähe und Liebe entstehen kann. Ein anderer Aspekt ist die Arterhaltung, Menschen tun sich einfach zusammen und zeugen Nachwuchs. Liebe und Partnerschaft ist letztendlich auch bereichernd, erfüllend und schön.
Na, hast du dich wiederentdeckt?
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